„Hate Speech“ und „deutsche Dreckskultur“
Seit einiger Zeit geistert der Begriff des „Hate Speech“ durch das Netz und der bisherige Justizminister Heiko Maas war der Auffassung, dass dagegen unbedingt etwas getan werden müsse. Social Media Plattformen müssen sowas zum Beispiel löschen. Doch was genau ist eigentlich „Hate Speech“? Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt:
„Der Begriff „Hate Speech“ bedeutet auf Deutsch „Hassrede“ und unterliegt einer noch sehr offenen Definition. Durch die fehlende Begriffsschärfe gilt dieser als politischer Begriff mit mehr oder weniger starken Bezügen zu juristischen Tatbeständen. Diese befinden sich in einer Grauzone, welche sowohl strafbare als auch nicht strafbare Ausdrucksweisen einschließt. „
Schrödingers Straftatbestand also.
In seinen Fußnoten verweist die Bundeszentrale für politische Bildung bei der Definition von Hate Speech auf die poppige Webseite von No Hate Speech DE. „Europaweite Kampagne des Europarates gegen Hassreden im Netz„. (Wenn man (mit etwas Mühe) das Impressum der Seite findet, erfährt man das dahinter keine staatliche Behörde sondern der Verein „Neue Deutsche Medienmacher e.V.“ steckt.) Dort wird Hate Speech wie folgt definiert:
„Wir schlagen deshalb folgende Definition vor:
Als Hassrede bezeichnen wir sprachliche Handlungen gegen Einzelpersonen und/oder Gruppen mit dem Ziel der Abwertung oder Bedrohung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer benachteiligten Gruppe in der Gesellschaft. Die Person oder Gruppe muss dafür rein zahlenmäßig nicht in der Minderheit sein, andersherum sind Minderheitengruppen nicht automatisch benachteiligt.
Beispiele für Hassrede sind für uns Sexismus, (amitimuslimischer) Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Neonazismus, Klassismus (Diskriminierung der „niedrigeren“ Schichten), Ableismus (Diskriminierung von Behinderten), Homo- und Transphobie.
Was Hassrede ist, entscheiden zudem nicht die Hater*innen selbst („Ich bin kein Sexist/ Nazi/ Rassist, aber …“), sondern die so Angesprochenen. Auch, wenn die Betroffenen sich nicht zu Wort melden, können sich natürlich Dritte einschalten, um Hate Speech zu benennen und auf sie zu reagieren.“
Als Jurist rollen sich mir bei solchen „Definitionen“ ja die Fußnägel hoch. Lassen wir mal beiseite, dass Formulierungen der Art „kann sein – muss aber nicht“ schon keine wirklich brauchbare Definition darstellen. Wäre „Hate Speech“ ein Straftatbestand müsste man feststellen, dass taugliches Opfer von Hate Speech nicht jedermann sein kann, sondern nur „Zugehörige einer benachteiligten Gruppe„. Das bedeutet im Umkehrschluss, wenn Sie nicht zu einer benachteiligten Gruppe gehören, dann darf man Sie nach Herzenslust Abwerten oder Bedrohen ohne dass dies Hate Speech wäre.
Das erklärt wohl auch, warum kürzlich in der taz eine Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah erscheinen konnte, in der unter dem Titel „Deutsche schafft Euch ab!“ zu lesen war:
„Der deutsche Hass auf Muslim_innen und die Paranoia vor einer – was auch immer das sein soll – Islamisierung der deutschen (wortwörtlich) Dreckskultur hält Kartoffeln davon ab, ein schöneres Leben zu führen.“
Von Hate Speech keine Spur meint auf Nachfrage HateSpeechDE, was nur Konsequent im Sinne der eigenen Definition von Hassrede ist, denn Frau Yaghoobifarah bescheinigt den Deutschen per se eine Dreckskultur und Deutsche sind nun mal keine benachteiligte Minderheit. Auch bei der taz versteht man die ganze Aufregung nicht so recht. Wer sich durch den Artikel von Frau Yaghoobifarah angegriffen fühlt ist nach Ansicht von Lalon Sander ein Nazi in Opferpose:
„Bei Yaghoobifarah geht es Rechten darum, dass die Autorin Deutsche als Kartoffeln und Lauchs bezeichnet und von deutscher Dreckskultur spricht. Eine rassistische Bezeichnung sei das und Volksverhetzung. Das ist die Rechte, die nicht selten mit „Satire darf alles“ um sich wirft, der bei offensichtlich satirischen Überspitzungen direkt der Kamm schwillt. „Kartoffel“ ist gleichzusetzen mit Bezeichnungen wie dem N-Wort? Wirklich? Leute entmenschlichen Deutsche als „Kartoffeln“ und wollen sie versklaven? Sie vielleicht sogar millionenfach umbringen? Nein, niemand geht abends mal „Kartoffeln aufklatschen“, konspiriert jahrelang, um Menschen mit besonders deutschen Namen umzubringen, oder diskriminiert sie beim Bewerbungsgespräch. Diskriminierung ist für viele Menschen in Deutschland real, aber die satirische Diskriminierung stört rechte Deutsche in ihrem Kokon.“
Der zweite problematische Punkt in der Hate Speech von No Hate Speech DE Definition ist der Umstand, dass „der Angesprochene“ (so er denn einer Minderheit angehört) die Letztentscheidung darüber fällen soll, ob Hassrede vorliegt oder nicht:
„Was Hassrede ist, entscheiden zudem nicht die Hater*innen selbst („Ich bin kein Sexist/ Nazi/ Rassist, aber …“), sondern die so Angesprochenen.“
Wäre Hate Speech also ein Straftatbestand würde dessen Verwirklichung allein von der subjektiven Empfindungslage des Opfers abhängen.
UPDATE
Die taz hat offenbat gemerkt, dass die Kolumne von Frau Frau Yaghoobifarah wohl doch größere Empörung hervorgerufen hat, als dass man jeden Kritiker zum Rechten mit Opferattitüde erklären kann und mit dem Beschwichtigungsversuch „Von Kartoffel zu Kartoffel“ nachgetreten nachgelegt.
Dort werden dann die selben Beschwichtigungsmuster abgearbeitet, die man sonst vermeintlichen Rassisten vorwirft.
„Die Autorin macht sich lustig. Bezeichnet weiße Deutsche als Kartoffeln und die Kultur des Arschabwischens mit Klopapier (statt mit Wasser abzuspülen) als Dreckskultur. Yaghoobifarah ist wütend. Sie gießt ihre Wut in ihren Kolumnen in eine kraft- bis gewaltvolle Sprache – und macht damit andere wütend. Manche unserer Leser*innen fühlen sich von ihrem aktuellen Text persönlich beleidigt, sehen ihn als Diffamierung Deutscher oder gar als Rassismus von links.
Diese Polemik hat mit Rassismus allerdings nichts zu tun. Rassismus ist, wenn unsere norddeutsche Autorin Yaghoobifarah jetzt massiv in rechten Foren als Ausländerin beschimpft wird, die sich „selbst entsorgen“ solle. So etwas wird Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland bis heute entgegengeschleudert.“
Frau Yaghoobifarah war also wütend und deswegen geht das Ganze also in Ordnung meint die taz. Der Grundsatz „der Angesprochene entscheidet, ob er etwas als rassistisch empfindet“ scheint in diesem Fall also nicht zu gelten.
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